1. Etappe Havelradweg gen Hamburg: Von Brandenburg (Havel) nach Rathenow
Ende Juni 2020 haben wir uns, dank Corona, nicht mit dem Camper durch Utah, sondern durch die herrlichen Flusslandschaften von Havel und Elbe von Brandenburg bis Hamburg bewegt. Ein fairer und lohnenswerter Tausch. Manchmal muss man einfach zu seinem Glück gezwungen werden.
In sechs streckenmäßig recht unterschiedlichen Etappen haben wir uns entlang von Wiesen, Weiden, entlang von Fachwerk und auf dem Deich bewegt. Mal mit, mal ohne Wind. Ich fand die Tour wahnsinnig schön und würde sie bis auf eine kleine Änderung genauso wieder fahren. Also, fühl dich eingeladen, virtuell mitzureisen oder auf deinem Drahtesel die gleiche Strecke zu nehmen. Der heutige erste Beitrag beschreibt die erste Etappe auf dem Havelradweg von Brandenburg an der Havel in die Optikstadt Rathenow.
1. Tag – Wir starten in Brandenburg an der Havel
Es sind mindestens 30 Grad angekündigt, doch wir halten an unserem Plan, der ersten Etappe gen Hamburg fest. Kurz nach neun Uhr besteigen wir mit unseren gepackten Rädern am Potsdamer Hauptbahnhof den Regionalzug RE 1. Erstaunlicherweise ist er gar nicht so voll.
Leider funktioniert die Ticket-Order via VBB-App nur mäßig gut. Einmal wollte ich auf die Technik vertrauen. Irgendwann klappt es – aber so kompliziert, dass ich mir schwöre – beim nächsten Mal die Tickets am Automaten zu kaufen. Zügig, in circa einer halben Stunde erreichen wir die Stadt Brandenburg und fahren auf der, an den Bahngleisen in westliche Richtung verlaufenden, Straße los.
Nach ein paar Kilometern erreichen wir den Havelradweg, welcher sich ab jetzt als herrlich asphaltiertes Band südlich des Möserscher See entlangzieht. Der Havelradweg ist excellent ausgeschildert. Vielen Dank an die Verantwortlichen.
Ganz trickreich geht hier der Waldweg über Minikuppen hoch und runter, spannendes Unterfangen mit unseren beiden Fahrradtaschen. Das Plusgewicht macht sich definitiv bemerkbar, irgendwo bellt es im Wald und schon springt ein Reh über den Radweg. Wie angewurzelt steht es dann im Wald während wir gemütlich vorbeiradeln und als wir paar Kilometer weiter, für einen kurzen Ausblick auf den See, die paar Meter vom Radweg Richtung Wasser gehen, finde ich die ersten essbaren Pilze in diesem Jahr!
Wir durchqueren nun Kirchmöser, einst als Bauerndorf Möser bekannt und mittlerweile eingemeindet zu Brandenburg. Früher war Marcus hier zum Kanurennsport – heute tummeln sich vor allem Wassersporttouristen und wegen seiner spannenden Industriegeschichte ist nicht nur das Wasser, sondern auch der Ort touristisch sehr interessant.
Zunächst geht es entlang niedlicher Reihenhäuschen. Wir stellen uns vor, wie hier mal die Arbeiterfamilien gelebt haben. Es sieht alles sehr nett aus.
Bald radeln wir am 1916 gebauten Wasserturm der Pulverfabrik vorbei und irgendwo steht ein granatenförmiger Betonklotz …. ein Hochbunker, wie ich abends dann lese.
Und noch paar Meter weiter steht eine Lok mitten im Ort.
Der durch Kirchmöser führende, 11 Kilometer lange Industrielehrpfad erklärt anschaulich auf einigen Tafeln, was es mit den Bauten auf sich hat.
Alle Nase lang haben wir Lust anzuhalten und zu fotografieren. Das geht ja gut los – ob wir wohl unser Etappenziel erreichen?
Noch schnell den Obelisken besichtigen, ein Kriegerdenkmal am Kreisverkehr Richtung Plaue. Ihn errichtete man 1915 um den Platz vor der Pulverfabrik etwas aufzuwerten. Später wurde das Gelände von der deutschen Reichsbahn übernommen. Das alles geistig zu durchdringen, ist fast ein wenig zu viel. Ich komme bestimmt mal wieder und schaue es mir in Ruhe an.
Nun aber hurtig weiter, denn es ist immer schwer einzuschätzen, was auf so einer Radtour noch alles vom Weiterradeln abhält. Wir verlassen den Ort über eine tolle Brücke ohne Namen und fahren direkt in den Plauer Schlosspark ein.
Ein paar Wuzeln lassen mich in diesem Park über den Weg hoppeln. Hier ist also Vorsicht angesagt und trotzdem lasse ich mich ablenken. Zwei riesige, an ehemalige Jagden im fernen Himalaya erinnernde Steinfiguren blicken weit über die Havel. Ein Himalayabär und ein Markhor. Einst befand sich an diesem Aussichtspunkt ein Tontaubenschießstand.
Ein paar andere Radler fahren vorbei und schnell geben sie laut kund, was für einen Bären sie entdeckt haben …. „einen Berliner Bär“ … Ahja. Ich sag´s doch – man muss die Dinge einfach laut und im Brustton der Überzeugung kundtun. Zumindest wirkt man dann schlau… sie düsen freundlich grüßend vorbei und werden wahrscheinlich nie das beschriebene Geheimnis der Himalaya-Jagden erfahren.
Wir fahren weiter und queren erneut die Havel. Auch dieses schöne Baudenkmal der „Alten Plauer Brücke“ können wir nicht einfach so hinter uns lassen. Nächste Fotosession und dann ab auf die Landstraßen.
In der glühenden Mittagssonne rollen wir nun Meter um Meter. Trockenes Getreide links und rechts auf den Feldern, ab und an mal ein wenig Schatten. Jetzt metern wir einfach mal und machen keine Fotos. Wie soll man auch trockene staubige Luft fotografieren? Es geht unspektakulär aber landschaftlich schön durch Briest, Tieckow und Fohrde. Wir erhoffen eine Minipause an einer Bahnschranke, wollen den Zug vorbeifliegen sehen – aber nein, kurz vorher biegt der Radweg links ab. Weiterstrampeln bis zum nächsten kleinen Highlight.
Das wartet in Pritzerbe auf uns. Nach einer kurzen Stullenpause geht es dieses Mal mit der Fähre über die Havel.
Fähren sind irgendwie immer spannend. Autos haben hier Vorrang, dann erst dürfen Radfahrer und Fußgänger drauf. Wir zahlen beim Fährmann – 1,80 für 2 Erwachsene und 2 Fahrräder.
Von der anderen Havelseite haben wir einen tollen Blick zurück nach Pritzerbe. Irgendwie eine richtige Bilderbuchlandschaft. Seerosen, blauer Himmel. Ein paar Entchen schwimmen natürlich auch irgendwo rum und die Touristen sind hier alle sehr entspannt und freundlich. Die wenigen und die meisten die wir treffen haben natürlich entweder ihr Rad an der Hand oder unter dem Hintern.
Eine mächtige Weide steht direkt am Fährübergang. Leider stand hinter mir ein Zaun … falls sich einer wundert, warum die Krone oben abgeschnitten ist.
Und dann soll es irgendwie recht schnell gehen. Die Schilder zeigen nun noch 21 Kilometer bis Rathenow. Wir biegen in eine Fahrradstraße und fahren jetzt ziemlich lange durch die Felder. Wirklich traumhaft und genauso, wie ich mir Brandenburgs Weiten vom Rad aus vorgestellt habe. Trotzdem merken wir so allmählich die Fahrt in den Beinen. Unabgesprochen aber nur noch für kurze Trinkpausen halten wir an – jedes erneute in Schwung bringen der ganzen Masse kostet Kraft.
Plötzlich stehen wir mitten auf der Bundesstraße. Kein Radweg, die Autos brettern nur so an uns vorbei. Weiter hinten hatte ich ein Wegweiser über die Felder gesehen. Allerdings paar Kilometer mehr. Ein Vater mit seiner erwachsenen Tochter kommt vorbei. Auch die beiden nehmen den gleichen Weg und so schnattern wir uns die letzten heißen Kilometer bis Rathenow so durch, plaudern über vergangene Reiseziele, die Begeisterung trägt uns Kilometer für Kilometer weiter und so kommen irgendwann tatsächlich klatschnass in Rathenow an.
Wir haben alle Unterkünfte vorgebucht und auch wenn wir hier unsere Empfehlung aussprechen – wir haben alles selbst bezahlt. Also freuen wir uns total, die erste Nacht im Hotel Sonn´Idyll verbringen zu dürfen.
Ein auf Wellness und Gesundheit ausgerichtetes Haus mit Sauna und Naturbadeteich, was man so in der Ecke überhaupt nicht erwartet hätte. Wir fahren auf den Hof auf und werden gleich freundlich begrüßt. Noch bevor wir eingecheckt haben, dürfen wir unsere Räder in den eigens dafür vorgesehenen Raum bringen. Mein Drahtesel schläft zumindest die erste Nacht sicher und nicht auf der Straße … damit hat das Haus schon meine ganze Sympathie …. Falls ihr mal im Ort seid, dann hätten wir hier eine Empfehlung für Euch.
Wir duschen und erholen uns kurz, laut Wetterapp solle es Regen geben oder nun doch wieder nicht? Marcus sagt, da kommt nix – also los. Nochmal kurze Citybesichtigung Rathenow. Ungefähr hundert Meter sind wir aus dem Haus – der erste Tropfen. Na mal bloß gut, dass da nix kommt.
Wir fotografieren aus gefühlt fünfzig Perspektiven die evangelische St. Marien-Andreas Kirche.
Kurz spazieren wir rund um die Kirche. Es sind kaum Leute unterwegs, ein Einzelner sitzt auf einer Bank und raucht. Verstohlen beobachtet er uns und fragt sich wahrscheinlich, warum man tausend Fotos von der Kirche und den umgebenenden Häusern macht. Ganz einfach – weil es sehr schön und natürlich gewachsen ausschaut.
Optik-Park ist die Adresse und weil er Sohn eines Pfarrers ist, findet sich hier auch gleich noch das Gebursthaus von Johann Heinrich August von Duncker. Leben und Wirken drehte sich um Linsen, Mikroskope, Brillen, Schleifmaschinen. Schlussendlich gründetet er zwar zunächst unter einem anderen Namen aber die späteren Rathenower Optischen Werke. Damit entwickelte sich Rathenow zu einem wichtigen industriellen Standort.
Nur wenige hundert Meter schlendern wir zum kleinen Anlegehafen, beobachten den Schleusenvorgang. Doch das was wir eigentlich suchten, eine kleine Einkehr – ist am Samstag Abend relativ schwer zu finden. Begnügen wir uns also mit den Schleusenspuckern. Der Legende nach warteten hier am Stadthafen die Tagelöhner und hofften, sich mit Entladearbeiten ein paar Münzen dazuverdienen zu dürfen. Weil sie sich die Zeit bis zum nächsten Kahn irgendwie vertreiben mussten, beschäftigten sie sich unter anderem mit Spuckwettbewerben.
Kurz darauf finden wir im Zentrum einen Italiener. Ich möchte draußen sitzen, da ist alles reserviert. Zähneknirschend gebe ich nach, dass wir drinnen sitzen. Doch nur paar Minuten später – fängt massiver Regen an. Ein Hoch auf die Wetter-App. Sollte ja nix kommen. Alle Gäste von der Terasse springen hektisch auf – während wir ganz gelassen von drinnen rausschauen und schmunzelnd ganz zufrieden sagen können: „ Wir sitzen schon“ .
Naja, wie ihr euch vorstellen könnt, sind wir nach einem langen und wirklichen heißen Tag dann doch mächtig müde. Laufen kann man es fast nicht mehr nennen, wir trotten zurück zum Hotel und bei ein wenig Froschgequake versinken wir, inmitten von Zirbenholz, in tiefe Träume.
Eine wunderschöne erste Tour. Ich bin schon total begeistert und freue mich auf den nächsten Tag. Wir sagen danke an alle, die uns auf dieser ersten Tour auf dem Havelradweg wohlwollend begegnet sind.
Und nochmals der Hinweis auf die im Beitrag enthaltene Werbung – alle angefallenen Kosten für Essen, Fähre, Regionalzug sowie Hotel in Rathenow haben wir selbst finanziert. Durch die Nennung ist uns in keinster Weise ein Vorteil entstanden … wir empfehlen aus Überzeugung.
Tourdetails:
- Streckenlänge: ca. 65 Kilometer
- Reisezeit Ende Juni 2020
Weiterführende Links:
Schau Dir unsere 1. Etappe bei Komoot an:
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