Leipziger Weihnachtsmarkt 2016 – eine Zeitreise?
Irgendwie fand ich uns verrückt, freiwillig dieses wohlbekannte Getümmel aufzusuchen. Irgendwie gab es aber gar keine Frage und überhaupt keinen Verhandlungsspielraum zu diesem Leipziger Weihnachtsmarktbesuch. Erstens haben wir ihn verschenkt und zweitens, wie könnte ich meiner Heimatstadt einen Besuch verwehren. Nichts geht über einen Bummel durch Leipzig. Wer einmal in der Fremde war oder ist, weiß, was Heimatgefühle bedeuten. In diesem Blogbeitrag erfährst du, warum es sich auch für dich lohnen könnte, im Advent oder auch zu einem anderen Termin mal dahin zu fahren.
Und so fahren wir an einem Adventssonntag bei fürchterlichem Regen von Potsdam mit dem Auto nach Leipzig. A9 – A14 – B2 und schwupps, sind wir schon mittendrin. Der Regen hat aufgehört. Wir parken meistens mit etwas Glück kostenfrei in der Querstraße. Von hier aus sind es nur wenige Schritte bis zum berühmten Augustusplatz. Heute sehen wir schon von weitem das riesige Riesenrad. Links sehen wir das Gewandhaus, den Uniriesen, die Universität mit der neuen Fassade der nachgestellten Paulinerkirche. Die Glockenmänner und rechts im Ensemble noch die Leipziger Oper. Die liebevoll als Milchtöpfe bezeichneten und eigentlich von den Leipzigern lange nicht gemochten Eingänge in die Tiefgarage, sieht man Dank der Marktstände heute nicht. Für diesen ersten Blick bin ich schon mal dankbar und glücklich. Ich bin gerne hier.
Wir starten unseren Bummel auf dem Augustusplatz. Völlig entgegen unseren Erwartungen ist es noch überschaubar leer. Umso besser können wir an den Buden stöbern. Erzgebirgische Schnitzkunst, Filz- und Lederarbeiten und natürlich allerlei Nascherei.
Wir blicken nach oben. Zufall? Die Uhr unter den berühmten Glockenmännern zeigt fünf vor zwölf. Bei all dem Terror in der Welt ist also nicht nur die Uhr ansich ein Wahr- und Warnzeichen. Ich schau mich gleich noch mal versichernd um und halte auch das Geld in der Tasche gut fest. Die Polizei warnt sehr vor Taschendieben hier.
Dann wende ich mich wieder den Glockenmännern zu. Das Schöne am Leipziger Weihnachtsmarkt ist, dass man die Wahrzeichen der Stadt mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Punkt 12 hauen die über drei Meter großen Männer auf dem Krochhochhaus drauf los. Immer noch schaue ich jedes Mal fasziniert nach oben, wenn die beiden Kolosse sich anfangen zu bewegen. Sieht ziemlich steif aus, könnten mal eine Massage gebrauchen. Der Glockenhall schwebt über dem Platz. Während wir so den Klängen lauschen, bleibt Zeit, über die Inschrift nachzudenken. OMNIA VINCIT LABOR. (Arbeit überwindet alles). Wusst ich´s doch. Arbeit überwindet alles. Da ist was dran. Oft schon habe ich genau das von den Leuten in der Praxis gehört. Wenn wir arbeiten gehen, dann geschieht irgendwo Ablenkung und dann entsteht Neues. Das hat schon so manchem über schwere Stunden hinweggeholfen. Für die vollen Stunden schlägt der rechte Mann die größte der drei Glocken. Für die Viertelstunden schlägt der linke Mann die mittlere Glocke. Die kleinste Glocke dient lediglich der Ankündigung des Viertelstundenschlages.
Das Geläut ist vorbei. Nun wird es Zeit für das erste kulinarische Wahrzeichen. Die echten Kräppelchen. Wer aus Brandenburg hier anreist, meint zunächst, es handle sich um die in Brandenburg erhältlichen Mutzenmandeln. Aber leider, Leute, muss ich ehrlich gesagt gestehen, die Leipziger Kräppelchen übertrumpfen alles. Die mit Puderzucker bestaubten Schmalzgebäckteilchen sind größer und auch fluffiger und damit für mich leckerer als Mutzenmandeln (denn diese sind etwas fester, da Mürbeteiggebäck).
Wir verspeisen also ein Tütchen.
Und schon schieben sich die nächsten Wahrzeichen vor die Linse. Der Leipziger Uniriese. So zumindest sein volkstümlicher Name. Cityhochhaus heißt es jetzt wohl richtig. Denn mittlerweile ist das Gebäude verkauft und beherbergt verschiedene Mieter. Für uns Touristen oder Einheimische ist wohl das Panoramarestaurant und die Aussichtsplattform in der 29. Etage am interessantesten. Mit seinen 142 Metern Höhe ist er bei gutem Wetter schon von der Autobahn zu sehen.
In direkter Nachbarschaft befindet sich die neue Fassade und Aula der Universität. Das Paulinum. Diese empfindet die durch das DDR-Regime gesprengte Paulinerkirche nach. Vielumstritten bei den Leipzigern dieser auffällige Neubau. Mir jedenfalls gefällt es. So bleibt Historie greifbar. Und um es nicht ganz zu vergessen – wir sind auf dem Weihnachtsmarkt und ein wirklich altes Karussel dreht sich vor den beiden Berühmtheiten.
Dann gehen wir in die Grimmaische Straße. Diese verbindet den Augustusplatz mit dem Marktplatz. In früheren Jahren war in dieser Straße während der Weihnachtsmarktsaison teilweise kein Durchkommen. Mittlerweile haben die Entscheider gelernt und die Buden stehen nun nur noch einreihig. Heute ist zudem noch Sonttagsöffnung in den Geschäften der Innenstadt – dafür kommen wir noch ziemlich gemütlich durch. Ich bin fast ein wenig verwundert.
Nach kurzer Zeit erreichen wir den historischen Marktteil. Er verbirgt sich auf dem sogenannten Naschmarkt. Ein kleiner Platz zwischen Rückseite des Alten Rathauses und Alter Börse und Grimmaische Straße. Nicht zu verfehlen. Hier geht es zünftig zu. Von Riesenbratwurst über Knobibrot und selbstgemachten Ohrringen ist alles zu haben. Wenn auch klein, für mich jedoch einer der schönsten Teile des Weihnachtsmarktes.
Schräg gegenüber reitet grad Mephisto auf einem Weinfass an uns vorrüber. Ich frag mich wo er hin will. Ich glaub, in Auerbachs Keller, Goethe abholen. Wir stehen also direkt vor der berühmten Mädlerpassage, weihnachtlich geschmückt. Auf einem roten Teppich lustwandeln wir hindurch.
Dann werden wir von Mutti zielgerichtet zum von der LVZ prämierten Glühweinstand im Peterssteinweg geführt. Bis dato wusste ich noch gar nicht, dass die Leipziger Volkszeitung solch einen Test durchführt. Und bis dato wusste ich auch noch nicht, dass es auch weißen Glühwein auf Weihnachtsmärkten gibt. Ich habe immer nur roten gesehen. Hier gibt es weißen. Dennoch bleibe ich meiner instinktiven Linie treu – ein Kinderpunsch bitte. Mir fällt auf, dass wir so gar nicht anstehen müssen und dass an ziemlich allen Buden – explizit keine Schlange steht. Das ist ja schon fast auffällig.
Der Wein geht rasch ins Blut. Ich hab´s geahnt. Schon haben wir das erste kichernde Glühweinopfer bei uns. Kichern, stolpern und breit grinsen. Na Super. Jetzt gucken schon die Leute. Nach einer Tasse Glühwein. Hätten wir doch wohl bisschen mehr als die paar Kräppelchen essen sollen? Aber so ist es eigentlich auch ganz lustig. Paar gebrannte Mandeln versuchen den Fusel einzufangen und dann stehen wir auch schon mitten auf dem Marktplatz. Das Alte Rathaus in seiner historischen Pracht wacht über den Budenzirkus. Es fängt an zu regnen, stört uns nicht, strategisch laufen wir die mit den üblichen Weihnachtsmarktbuden gefüllten Gänge ab.
Vom Markt laufen wir wohl zum geschichtsträchtigsten Ort der Neuzeit. Wir erreichen die Nikolaikirche. Den Ort wo die Montagsdemos 89´ ihren Lauf nahmen. Allmählich wird es dunkel und das Licht der Buden zieht meine Augen magisch an. Doch es ist echt leer auf dem Markt. Warum? Wir vermuten zum einen die Sonntagsöffnung. Die Leute ziehen sich in die Läden. Das ist positiv. Wer also zum Leipziger Weihnachtsmarkt fährt – sucht sich am besten den Sonntag mit Öffnung aus. Zum zweiten regnet es. Doch entscheidender glaube ich, sind die an den Buden in die Höhe geschnellten Preise. Es ist einfach zu teuer. Mehr als einmal geht kaum einer auf den Markt schätze ich. Das ist schade, denn früher waren wir mehrmals die Woche. Und sei es um einer der legendären Waffeln mit Vanilleschaum zu essen. Mein absoluter Geheimtipp – wenn du mal hier bist – nimm so eine Waffel. Die ganzen anderen Naschereien bekommst du auch anderswo.
Tja und passender könnte das Gleichniss wohl nicht sein. Da wo heute Feuerzangenbowle brodelt, erinnert eine Säule an die friedlichen Demonstrationen im Herbst 89´. Mag sein, dass die Demos als friedlich eingestuft waren.Wer dabei war, weiß jedoch, dass selbst im Oktober 89 noch Schießbefehl erteilt wurde. Zigtausend am Ende geschätzt bis wohl bis zu 100.000 Freiheitsliebende standen und gingen Montag für Montag der Polizei, Nationaler Volksarmee und auch den Kampfgruppen entgegen. Immer wieder kam es zu Festnahmen. Es hat mehr als gebrodelt in Leipzig. Bis zum 9. Oktober. Dem Tag, an dem sich zum ersten Mal die Sicherheitskräfte dieser unbezwingbaren Menge gegenübersahen. Rückzug der Sicherheitskräfte. Und nach wenigen Wochen das Ende eines Staates.
Die Buden können noch so kitschig oder unnütz sein. Fakt ist, dass ein Weihnachtsmakrt kaum mehr Geschichte erzählen könnte als der in Leipzig. Lässt man die Augen umherschweifen, entdeckt man unweigerlich Dokumente längst vergangener Zeiten und ganz verschiedener Epochen. Im Beitrag habe ich nur einen winzigstkleinen Abriß vorgenommen. Aber ich möchte dich anstecken, dich anlocken – dich auf die Suche nach Leipzig zu begeben. Das ist der eine ganz spezielle Grund, warum es sich lohnt – die beschwingliche Freude eines Glühweins mit der historischen Tiefe der umgebenden Gebäude in Leipzig zu verbinden.
Und na klar. Mein Leipzig lob ich mir. Auch wenn ich jetzt in Potsdam lebe und von dieser Stadt ähnlich begeistert bin.
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