3. Etappe gen Hamburg: Von Havelberg nach Wittenberge
Unsere dritte Etappe gen Hamburg soll wohl die entspannteste werden. Von Havelberg geht es nach Wittenberge. Nachdem uns alle am Hafen wohnenden Vögel wachgeschnattert haben, schlurfen wir in den Frühstückssaal.
Wir bekommen unser Frühstück am Tisch auf einer Etagere serviert. Wir sind in Sachsen-Anhalt und hier servieren die Kellnerinnen auch noch mit Mundschutz, in Brandenburg einen Tag vorher war Bufett erlaubt.
In Erwartung der für heute, mit circa 35 Kilometer, eher kurzen Tour lassen wir es ruhig angehen. Wir satteln unsere Räder – auch diese Nacht haben sie gesichert in einem abgezäunten Bereich gestanden, das ist total toll.
Gott sei Dank hatten wir am Vorabend noch den Hinweis auf die Radwegsperrung gelesen und so fahren wir auf der L3, also auf der Landstraße von Havelberg durch Toppel und Dahlen. Das ist eine der Sachen, die mir auf dieser Tour besonders gut gefallen hat – immer dann, wenn wir uns einem Ort nähern, heben sich aus dem Feld die roten Ziegeldächer hervor. Einfach schön.
Im nächsten Ort – in Nitzow, verkauft eine Frau Süßkirchen. Schön drappiert auf einem Stuhl vor ihrem Haus. Genau darauf hatte ich gehofft. Wir nehmen gleich mal eine Tüte mit und packen die Hälfte davon stoß- und rumpelsicher in unsere mitgeführte Brotdose.
In Quitzöbel biegen wir scharf links ab um nochmal ein kurzes Stück auf dem Deich dorthin zurückzufahren, wo wir laut der ursprünglichen Route das Wasser gequert hätten. Die Wehranlagen bei Quitzöbel.
Wir besichtigen drei Wehranlagen, auch wenn wir dafür, zwar durch Ampelschaltung geregelt, mal kurz durch die Baustelle müssen. Hier werden die Zuflüsse vom Gnevsdorfer Vorfluter, Havel und Elbe geregelt.
Unweit von hier befindet sich der Zusammenfluss von Havel und Elbe. Fast ein wenig unspektakuläres Plätzchen. Eine kleine Picknickbank, im Wasser ein Kahn … rundherum Ruhe, grüne Wiese und blauer Himmel. Schönes Fleckchen Erde und irgendwie ein cooles Gefühl, hier gewesen zu sein.
Dann geht ein wunderwunderschöner Streckenabschnitt los. Wir folgen der Ausschilderung „Alternativroute“ Richtung Wittenberge. Der Radweg lässt uns spiegelglatt quasi zwischen Havel und Elbe entlangschweben. Sowas wie Himmel auf Erden, einfach eine Flusslandschaft, wie sie im Buche steht.
Nur wenige Leute sind heute auf der Strecke mit dem Rad unterwegs. Irgendwo steht rechts ein Reh im Gebüsch, links grasen unglaublich viele Schafe. Ein paar Lämmchen sind auch dabei. Zehn Kilometer fahren wir auf diesem idyllischen Streifen und bei der nächsten Brücke, die zugleich ein Wehr ist, kreist ein Milan und ganz Hitchcockgleich mit seinen Vögeln, schwirren unzählige Schwalben rund um die Wehrpfeiler.
Wir lassen uns viel Zeit auf der Strecke, beobachten die Vögel oder lassen unsere Augen einfach nur so in die Weite schweifen. Das sind Dinge, die sich wirklich nur schwer in Worte fassen lassen. Das Wetter spielt uns in die Hände, wir haben traumhaften Sonnenschein, paar Wolken. Alles ist perfekt … was für ein Glück.
Kurz darauf erreichen wir das von mir heiß erwartete Rühstedt, welches sich vor allem wegen seiner bis zu 50 Storchennester bekannt gemacht hat. Ein vor dem Ort liegender großer Besucherparkplatz lässt erahnen, was in Hochzeiten hier so los ist.
Heute stromern ein paar Besucher durch den Ort und wir sehen den ersten Storch über dem Ort majestätisch einschweben. Es lässt sich schwer beschreiben, aber es sieht sehr sehr süß aus, wie gefühlt auf jedem 2. Dach ein Storch in seinem Nest sitzt und rausschaut.
Wieder schwebt einer ein und klappert mit dem Schnabel. Wir hören also das erste Mal life Storchengeklapper und sehen, wie er dabei den Hals fast 90 Grad nach hinten biegt. Wow. Auf einem Haus finden wir sogar 4 Nester … In diesem Ort dreht sich alles um die Störche und natürlich stellen sie einen außerordentlichen Touristenmagnet dar. Da schaut man schon mal besorgt auf die Anzeigetafel, wenn ein Nest unbesetzt blieb.Doch in erster Linie können wir uns neben dem Einschweben, dem Geklapper, an den zig idyllischen Fotomotiven erfreuen. Zum Beispiel die Kirche samt Friedhof. Kann man einen Friedhof als idyllisch bezeichnen? Oder gepflegt? Sucht euch was aus – mir hat das Motiv jedenfalls gefallen.
Und hier noch ein Nest, ein wenig zurückgesetzt auf einer Wiese. Mal die Nester weggedacht – auch ohne sie ist Rühstedt einfach ein schöner Ort, in dem es sich gut bummeln lässt. Und hier, nochmal irgendwo über den Zaun geschlunzt … ….und dann direkt nochmal an der Straße. Also egal, wohin man sich dreht – immer wieder tauchen neue Nester auf. Das ist wirklich spektakulär. Ich würde gern mal wissen, wie es dazu kam, dass die Störche so dominant diesen Ort angeflogen haben. Weiß das einer? Schreibt es mir doch mal in die Kommentare.
Wir finden mit Sicherheit nicht alle Nester, das ist auch heute nicht unser Anspruch, denn wir wollen weiter. Da es was zu feiern gibt, hoffen wir noch auf ein beschauliches Cafe. Auf einem anderen Blog habe ich eine Empfehlung für das Bauerncafe Scherfs Hof in Hinzdorf gefunden.
Per Selbstbedienung ordern wir dort Blechkuchen, Käsekuchen und Stachelbeerbaisser und mummeln alles zu einem leckeren Café mit Blick in den von Backsteinhäusern umstandenen Garten. Das war wirklich toll, wir erinnern uns auch nach der Tour noch gern an den hübschen Garten mit den knorrigen Bäumen, die schon gestützt werden müssen. Die Backsteinscheune, an der täuschend echt die ehemaligen Türgriffe nachgemalt wurden und das bunt gewürfelte Geschirr. So wie es eben ist in einem Garten. Die letzten wenigen Kilometer bis Wittenberge sind ein Klacks, vor allem, weil der Radweg immer noch wie glatt geschliffen ist und wie jeden Tag ist es auch heute ein kleiner innerer Jubel, sobald wir die Silhouette der angepeilten Stadt entdecken. Das hat was siegerähnliches und fühlt sich einfach gut an. Den Wittenberger Uhrenturm sehen wir schon von Weitem.
Noch eine Überfahrt über das Wasser und dann sind wir da.
Auch heute haben wir das Glück ein Quartier mit Blick auf´s Wasser zu beziehen. Wir wohnen in der „Alten Ölmühle“.
Wittenberge ist ein alter Industriestandort, da der Himmel sehr nach Regen ausschaut, schaffen wir leider nur einen Abstecher zum Uhrenturm. Dieser ist der größte freistehende Uhrenturm Deutschlands. Auch auf dem Gelände finden wir die alte Veritas-Leuchtreklamenschrift – hier in Wittenberge gab es ein Nähmaschinenwerk.
Leider ist der Turm und auch das Gelände nur im Rahmen von Führungen zu besuchen. So bleibt uns der sehnsüchtige Blick durch´s Tor. Müssen wir wohl nochmal wiederkommen. Immerhin ist der Wachdienst so freundlich und gibt uns einen Flyer mit. Danke nochmal.
Für das Abendessen sind wir der Empfehlung der Rezeption gefolgt und haben ein Tisch im Restaurant der Ölmühle bestellt. Dann wird es endlich Zeit, im Schutz alter Industriegemäuer den Tag zu verarbeiten. Ab in die Betten….
Am Vortag habe ich geschrieben, dass ich es als gute Idee empfand, in den größeren Städten auf der Strecke zu nächtigen. Eben um genau diese Städte zu besichtigen. Dennoch muss man mit dem kleinen abendlichen Kulturschock klarkommen. Tagsüber nahezu unberührte Natur, abends Städte, Stadtgeschichte, welche Spuren der Vergangenheit in sich tragen.
Manchmal habe ich das Gefühl, ich könnte die Backsteine, die Fenster, die grauen zuppeligen Gardinen flüstern hören … und eben hier in Wittenberge flüstert es irgendwie auch ein wenig traurig.
Das gehört dazu, deswegen sind wir hier und übrigens – jede Übernachtung, jede Einkehr in ein Lokal hilft, damit sich Städte und deren Einwohner neu ausrichten können. Die Idee, die alte Ölmühle in ein Hotel umzuwandeln ist grandios.
So manch einer hat hier schon vom Fenster seines Zimmers ein Konzert gehört. Von den Elblandfestspielen hatte ich vorher zwar noch nie gehört – die klingen jedenfalls so, als wäre es eine fantastische Veranstaltung? War schon mal jemand von euch da? Dann schreibt mir doch mal in die Kommentare, wie ihr Wittenberge so fandet.
Ich kann also nur bedingt google Bewertungen verstehen, die diese Stadt Wittenberge besonders schlecht dastehen lassen. Wie sehr informiert ihr lieben Rezensenten euch über eure Reiseziele? Über die Vergangenheit einer Stadt?
Was erwartet ihr denn von einer Stadt, in der von heute auf morgen unfassbar viele Arbeitsplätze verloren gingen. Fast die Hälfte aller Einwohner wegzogen? Eigentumsverhältnisse wahrscheinlich bis heute nicht geklärt sind? Wenn Existenzen einfach so der Boden unter den Füßen weggezogen wird? Wenn Glanzfabriken wie Nähmaschinenwerk, Zellstofffabrik oder Ölmühle einfach so geschlossen werden. Das ist doch dramatisch. Das braucht Jahrzehnte, bis das heilt. 30 Jahre sind da einfach nix.
Dann einen schlechten Kommentar auf google zu hinterlassen ist echt nicht fair.
Wir bedanken uns jedenfalls bei allen, die uns auf dieser dritten Etappe freundlich begegnet sind, ihren Ort, ihre Stadt, ihr Cafe mit Herzblut repräsentiert haben. In Zeiten von Corona ist das nicht leicht, wir haben gesehen, wie ihr geschwitzt und gekämpft habt – nur damit wir eine gute Auszeit haben.
Ich möchte auf alle Fälle nochmals wiederkommen und mir die komplette Stadt Wittenberge anschauen. (und für einen meiner Stammleser … es gibt auch einen alten Lokschuppen … ).
Falls ihr jetzt neugierig geworden seid, dann findet ihr hier alle weiteren Beiträge zu unserer Radtour:
1. Etappe: https://tripp-tipp.de/havelradweg-von-brandenburg-nach-rathenow/
2. Etappe: https://tripp-tipp.de/2-etappe-gen-hamburg-von-rathenow-nach-havelberg/
All unsere Hotels: https://tripp-tipp.de/fruehstuecken-im-hotel-in-zeiten-von-corona/
Erste Impressionen: https://tripp-tipp.de/mit-dem-rad-von-brandenburg-havel-gen-hamburg/
Und wenn du auch mal auf dem Havelradweg unterwegs sein möchtest, empfehle ich dir folgende Webseite:
Und sicherheitshalber der Werbehinweis. Wir haben alles selbst bezahlt – uns sind durch die Nennung keinerlei Vorteile entstanden, unsere Meinung ist nicht käuflich. Wir empfehlen aus Überzeugung.
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